Cold War Studies

Organisatoren
Berliner Kolleg Kalter Krieg; Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.09.2020 -
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Von
Nina Hechenblaikner, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck

Die „Cold War Studies“ stellen ein sehr dynamisches Forschungsfeld dar, welchem auch in der deutschen Forschung vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wird. Am 09. September 2020 fand in Berlin ein Workshop für Nachwuchswissenschaftler/innen aus diesem Bereich statt, der vom Berliner Kolleg Kalter Krieg in Kooperation mit der Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung und mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur organisiert wurde. Dieser Workshop bot Doktorand/innen und Habilitand/innen die Möglichkeit, ihre Projekte zu präsentieren sowie Anregungen und Feedback zu erhalten.

ELKE SEEFRIED (München/Aachen) lieferte mit ihrem Eröffnungsvortrag wichtige Impulse zu den anschließenden Vorträgen. Einleitend stellte sie die Frage, inwiefern der Kalte Krieg, seine binären Denkmuster und Folgen in der Gegenwart präsent sind. Anschließend gab sie einen Überblick über die Entwicklung der Forschung zum Kalten Krieg, welche seit den 2000er-Jahren einen Wandel durchlaufen hat. Seefried fokussierte sich hier, entsprechend der Forschungsagenda des Berliner Kollegs Kalter Krieg, vor allem auf die Dimensionen der Grenzen des Kalten Krieges. Die Veränderung der Forschung setzte ein, als sich der Fokus von den USA und der Sowjetunion hin zur Interaktionsdynamik zwischen Zentrum und Peripherie richtete. Für die weitere Entwicklung war wesentlich, dass die europäische Geschichtsforschung ihren Blick auf die Überwindung der Blockgrenzen, auf Kontaktzonen und blockübergreifende Austauschprozesse richtete. Auch die Frage nach dem Wandel von mentalen Grenzen sei bedeutend für das Verständnis des Kalten Krieges. Letztlich seien auch die Grenzen der Wirkungs- und Erklärungskraft des Kalten Krieges ein nicht zu vernachlässigender Aspekt.

Den ersten Vortrag hielt CONSTANTIN M. MÄRZ (Duisburg-Essen), der sich in seiner Dissertation der Produktion, Funktion und dem Charakter von Nuklearkriegsszenarien als Kontingenzbewältigung in den USA im Zeitraum 1957–1987 widmet. März setzt in seiner Forschung zwei Schwerpunkte. Zum einen untersucht er die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Konzepten der Kontingenzbewältigung und den Zusammenhang mit vermuteten Absichten und Fähigkeiten der Sowjetunion. Zum anderen befasst er sich mit dem Verhältnis zwischen narrativen fiktiven Szenarien, welche der Populärkultur entstammten und solchen, welchen wissenschaftlich fundierte Analysen zugrunde lagen. Im Fokus der Analyse steht der öffentliche Umgang mit Nuklearkriegsszenarien und damit verbunden das Verhältnis zwischen Wissenschaft, Sicherheitsinstitutionen und Zivilgesellschaft. Nach seiner Präsentation erhielt März die Anregungen, neben Kultur- und Ideengeschichte auch wissensgeschichtliche Ansätze zu verfolgen und nicht zu voreilig zu starre zeitliche Grenzen zu ziehen.

ANDREAS LUTSCH (Berlin) sprach über sein Forschungsprojekt zur deutschen nuklearen Frage in der zweiten Berlin-Krise. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Frage, warum die Bundesrepublik Deutschland ein Nichtkernwaffenstaat blieb. Hätte die Bundesrepublik als Partner des Westens Kernwaffenstaat werden können und wollen? Seiner These nach hatte kein an der Berlin-Krise beteiligter Staat Interesse daran, dass die Bundesrepublik zur Nuklearkraft wurde. Eine besondere Herausforderung des Projekts besteht darin, dass die Hauptfragestellung auf ein Nichtereignis abzielt. Daraus ergibt sich die Frage, wie Intentionen von Akteuren erkannt und interpretiert werden können. Für den Umgang mit dem Quellenmaterial spielen außerdem Fragen nach der Relevanz von Lücken und den Grenzen der Imagination eine wichtige Rolle.

Das zweite Panel eröffnete LUKAS MENGELKAMP (Marburg). Er befasst sich in seinem Projekt mit Friedensforschung und Abschreckungskritik im Ost-West-Konflikt in der Bundesrepublik Deutschland und verfolgt einen kontextualisierenden ideengeschichtlichen Ansatz. Mengelkamp führte drei Definitionen für den Begriff „Abschreckung“ an. Diese sei kein universelles Ideenkonstrukt, ambivalent und eine Strategie, die im Kalten Krieg nicht nur im militärischen Bereich, sondern auch in der Außen- und Sicherheitspolitik eine wichtige Rolle gespielt habe. Nach einem Überblick über die Entwicklung der Friedensforschung hob Mengelkamp abschließend hervor, dass eine kontextualisierende Ideengeschichte nicht nur die politischen Auseinandersetzungen, sondern auch den „neoliberalen“ und „postmodernen“ Umbruch berücksichtigen müsse. In der Diskussion wurde angesprochen, ob der Begriff „Entplausibilisierung“, den Mengelkamp im Zusammenhang mit einem vorgestellten Ansatz verwendet hatte, nicht zu stark sei. Dieser antwortete, dass jener Ansatz nicht grundlegend abgelehnt worden war, sondern aufgrund der sich verändernden politischen Lage in dieser Situation als nicht mehr plausibel erschien.

Im nächsten Vortrag sprach LIZA SOUTSCHEK (München) über ihr Dissertationsprojekt zur deutsch-deutschen Geschichte des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA). Das IIASA war ein blockübergreifendes Forschungsinstitut, welches 1972 gegründet wurde. Dort sollten Probleme behandelt werden, die durch wissenschaftlichen und technischen Fortschritt entstanden waren und innerhalb der Blockgrenzen nicht lösbar schienen. Der Schwerpunkt von Soutscheks Untersuchung liegt auf den kooperativen und kompetitiven Konstellationen, die sich durch die wissenschaftliche Zusammenarbeit ost- und westdeutscher Akteure am IIASA ergaben. Untersucht werden die Interaktionsdynamiken von Wissenschaftlern aus beiden deutschen Staaten, das Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft und die Verwendung des produzierten Wissens in der Bundesrepublik und der DDR. Anhand ausgewählter Beispiele werden Wissensproduktion und -verwendung, aber auch der Arbeitsalltag der Forschenden untersucht. Mit ihrem Projekt liefert Soutschek somit einen Beitrag zur Erforschung des deutsch-deutschen Wissenschaftsaustausches im Kalten Krieg. Im Anschluss an den Vortrag wurden Themen der deutsch-deutschen Beziehung am IIASA vertieft besprochen und erörtert, inwiefern der Austausch von Wissen auch über die Institution hinaus gegeben war.

LORENA DE VITA (Utrecht) präsentierte zu Beginn des dritten Panels ihr im August 2020 erschienenes Buch Israelpolitik – German-Israeli relations, 1949–1969. Darin geht sie der Frage nach, warum es zu einer Versöhnung zwischen Israel und der Bundesrepublik, aber nicht zwischen Israel und der DDR kam und welche Rolle die deutsch-deutsche Rivalität, der Kalte Krieg in Europa und der sich verschärfende arabisch-israelische Konflikt dabei spielten. De Vita erläuterte anhand von drei Beispielen, wie der Kalte Krieg Einfluss auf die Israelpolitik ost- und westdeutscher Entscheidungsträger genommen hatte. Der Zusammenhang zwischen dem arabisch-israelischen Konflikt und der deutsch-deutschen Rivalität war tiefgreifender als bisher angenommen. Mit ihrem Vortrag zeigte de Vita die Verbindungen dieser beiden Kapitel der Geschichte auf und verband sie miteinander. In der Diskussion, die sich besonders auf die Beziehung der DDR zu Israel fokussierte, erklärte de Vita, es habe von Seiten der DDR durchaus Überlegungen bezüglich Reparationszahlungen an Israel gegeben, die aber aus unterschiedlichen Gründen nicht weiter verfolgt wurden.

Auch CHRISTIAN METHFESSEL (Erfurt) widmete sich im letzten Vortrag des Workshops einem internationalen Ansatz. In seinem Projekt geht er der Frage der Unverletzlichkeit der Grenzen im Zeitalter des globalen Kalten Krieges nach. Im Fokus der Untersuchung stehen zwei sehr unterschiedliche Weltregionen: Afrika und Südasien. Der These, die liberalen, westlichen Staaten hätten zur Durchsetzung der territorialen Norm beigetragen, steht Methfessel kritisch gegenüber. Seinen Recherchen nach waren für die westlichen Mächte während territorialer Konflikte primär die geopolitischen Maximen des Kalten Krieges und ihre nationalen Interessen ausschlaggebend. Es zeigt sich aber, dass die meisten afro-asiatischen Staaten hinter dem Prinzip der Unverletzlichkeit der postkolonialen Staaten standen. Beispielhaft führte Methfessel hierfür die chinesische Besetzung Tibets (1950/51), die indische Annexion Goas (1961), die Sezession Katangas im Zuge der Kongo-Krise (1960–1963) und den Ogadenkrieg (1977/78) an. Im Anschluss an seinen Vortrag verdeutlichte Methfessel die Verbindung seines Projekts zum Thema des Workshops, indem er hervorhob, dass der Kalte Krieg ein Kampf um Einfluss in der „Dritten Welt“ war.

In der abschließenden Diskussion, an der sich alle Anwesenden beteiligten, wurden die Inhalte der Vorträge erneut aufgegriffen, aber auch nach Gebieten der Forschung zum Kalten Krieg gefragt, die nicht Inhalt des Workshops gewesen waren. Bereichert wurde der Workshop durch das Abdecken zahlreicher methodischer Ansätze und geografischer Räume. Es wurde jedoch auch angemerkt, dass – abgesehen von der DDR – der Ostblock wenig präsent war. Dies kann mit einer grundlegend fehlenden Verklammerung der Forschung zum Kalten Krieg mit der Osteuropaforschung erklärt werden. Ein weiterer Aspekt, der bisher kaum Aufmerksamkeit findet, sind die Menschen – sowohl im Sinne von “gender, race and class” als auch im Sinne von Akteur/innen. Trotz der Diversität der Vorträge fand sich ein verbindendes Element: die Frage nach Handlungsspielräumen.

Konferenzübersicht

Elke Seefried (München/Aachen): Begrüßung & Einführung

Panel 1

Constantin M. März (Duisburg-Essen): Vorhersagen des „Undenkbaren“. Produktion, Charakter und Funktion von Nuklearkriegsszenarien als Kontingenzbewältigung in den USA des Kalten Krieges (1957–1987)

Andreas Lutsch (Berlin): Peaceful Change, Not Proliferation. The German Nuclear Question during the Berlin Crisis – A Post-Revisionist Analysis

Panel 2

Lukus Mengelkamp (Marburg): „Jenseits der Abschreckung“ – Friedensforschung und Abschreckungskritik im Ost-West-Konflikt in der Bundesrepublik Deutschland, 1969–1989

Liza Soutschek (München): Deutsch-deutsche Wissenschaft im Kalten Krieg zwischen Kooperation und Konkurrenz: Das Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA)

Panel 3

Lorena de Vita (Utrecht): Israelpolitik: Re-assessing the German Cold War in the Middle East Conflict 1949–1969

Christian Methfessel (Erfurt): Annexionen und Sezessionen im Zeitalter des globalen Kalten Kriegs

Abschlussdiskussion


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Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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